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Zarenschlösser und Tataren
Handschuhsheimer
Stadtteilverein und Kantorei an der Friedenskirche unterwegs auf der Krim
Im Jahre 10 der Städtepartnerschaft zwischen Heidelberg
und Simferopol und ein Jahr vor dem zehnjährigen Jubiläum der
Stadtteilpartnerschaft zwischen Handschuhsheim und Kiewskij Rayon waren
Handschuhsheimer Bürger wieder einmal in Sachen Partnerschaft auf
der sommerlichen Halbinsel im Schwarzen Meer zu Gast. Diesmal standen die
Begegnungen auch im Zeichen der Musik, befand sich doch die Kantorei
der Friedenskirche unter ihrem Kantor Michael Braatz in dieser 42köpfigen
Delegation von "Volksdiplomaten", wie der Reiseleiter und Vorsitzende des
Handschuhsheimer Stadtteilvereins, Herr Martin Hornig, die Reisenden öfters
zu nennen pflegte.
Vielfältige Begegnungen; Aktivitäten, Kontakte und der Besuch
der Highlights prägten ein abwechslungsreiches Programm und machte
Lust auf weitere zukünftige Reisen. Aus diesem Programm sollen hier
die wichtigsten Ereignisse dokumentiert sein.
Gottesdienst auf deutsch und russisch
Nach
Bezug des protzigen Sowjetklotzes, der als Hotel den Rand der mondänen
Hafenstadt Jalta überragt, dem Einleben und einer Chorprobe auf dem
Balkon der 16. Etage im Mondlicht hoch über dem nächtlichen Meer,
stand der Sonntag im Zeichen der Begegnung mit der kleinen lutherischen
Gemeinde in Jalta, die mit ihrem Pfarrer Emmerich, einem zugereisten Sibiriendeutschen,
eine schnuckelige kleine Kirche besitzt, gleich hinter der mit Schaugeschäften
und Souvenirläden übersäten Strandpromenade. Für die
Gemeinde auf der Krim wird dieses Trinitatisfest als Feiertag besonders
in Erinnerung bleiben: der Handschuhsheimer Pfarrer der Friedenskirche
Jörg Hirsch feierte mit dem Hausherrn zusammen den simultan ins Russische
übersetzten Gottesdienst, hielt die Predigt und überreichte die
Kollekte des vorausgegangenen Pfingstmontagsgottesdiensts, aufgebracht
in bester Ökumene mit der katholischen St. Vituskirche. Die Kirchenmusik
teilten sich der einheimische Jugendchor und die Kantorei an der Friedenskirche,
die mit Liedern aus der Romantik die dortigen Besucher begeistern konnte.
"Tschaikowski – da"
Der kirchenmusikalische Kreis sollte sich übrigens mit Hindernissen
am vorletzten Tag des Aufenthalts schließen, als man in Liwadija, dem
weißen Sommerpalast des letzten Zaren (hinlänglich bekannt durch
die Jaltakonferenz am Ende des Zweiten Weltkriegs) in dessen reichgeschmückter
Hauskapelle singen wollte. Der zuständige Pope schlug mit eiserner
Miene die Bitte der Gäste um die Genehmigung musikalischer Darbietungen
strikt ab; in einer orthodoxen Kirche sind Chöre anderer Konfessionen
nicht erwünscht. Kurz vor seinem Verschwinden in der Sakristei der
erlösende Einfall: Wir sind kein orthodoxer Chor, aber wir wollen
Tschajkowski darbieten, dessen Musik im Geiste der Orthodoxie geschrieben
wurde. Jetzt lautete die russische Antwort. "Tschajkowski – "da!". Zwar
wurde dem noch ein Mendelsohn angehängt, aber der Bann war gebrochen.
Wieder tauchte der russische Geistliche, der sich während des Gesanges
verzogen hatte, strahlend auf mit der Aufforderung, wieder einmal zum Singen
vorbeizukommen. Die Macht der Musik hatte hier entscheidend zur Verständigung
beigetragen.
Touristische Höhepunkte
Viel zu berichten gäbe es auch vom touristischen Programm, aber
darüber ist im Gefolge der vielen Bürgerreisen des
Stadtteilvereins schon geschrieben worden. Höhepunkte waren der familiäre
Palast der Zarenfamilie in Massandra, gebaut im Stil der Loireschlösser
von einem französischen Architekten, die Besichtigung der Weißen
Datscha des russischen Schriftstellers Anton Tschechow, der krankheitshalber
die letzten fünf Jahre seines Lebens auf der Krim arbeitete und lebte.
Sewastopol, das in weißen Bauten erstrahlt und durch Krimkrieg und
zweiten Weltkrieg nicht nur zum russischen Trauma wurde, wie das besichtigte
dreidimensionale Panoramabild in monumentaler Größe zu dokumentieren
weiß. Am Rande Sewastopols wird das antike Chersones der Griechen
mitgenommen, das neben seinen ragenden Säulen zum Bad im Schwarzen
Meer lockt. Und natürlich der geheimnisvolle Khans-Palast in Bachtschissaraj,
von Russlands Größtem, Alexander Puschkin besungen, der den
Bogen zur tatarischen Gegenwart schlägt, die die ukrainische und russische
Bevölkerung durch die massenhafte Rückwanderung dieser mohammedanischen
Minderheit wieder einholt.
Vielleicht lernt der ehemalige Sowjetbürger von diesen Tataren, wie
man die neue Zeit und den gewünschten, aber ins Stocken geratenen
Inseltourismus in Gang bringen kann. Mit der Seilbahn auf dem höchsten
Berg der Südküste, den Aj Petri, gelangt, zeigen die schwarzhaarigen
Menschen mit den goldbestückten Mündern jedenfalls, dass der
angekommene Reisende aus dem Westen König ist, für den man problemlos
und flink die besten Fleischsspieße und Reisgerichte nach wenigen
Minuten an den Holzkohleöfen hervorzaubern kann. Für wenige Griwna
(1 Euro entspricht ca. 5 Griwna) gesättigt, kann der Gast auf einem
stämmigen Tatarenpferd auf dem Hochplateau in die Runde reiten und
die herrlichen Aussichten nach unten genießen, wenn es der manchmal
auftretende Nebel des Hausberges von Jalta nicht zu verhindern weiß.
Nicht fehlen durfte natürlich die obligatorische Verkostung von
Weinen aus dem Weinkombinat von Massandra, in dessen Angebot
mittlerweile auch trockene Weine gelangt sind, die sich vollmundig "Kaberne"
nennen, jedoch wenig in ihrem Charakter an die französischen Namensvetter
erinnern. Mehr Gefallen fanden die nach russischer Tradition seit über
150 Jahren ausgebauten Port- und Dessertweine, denen obligatorisch reiner
Alkohol und Zucker zugesetzt wird, so dass sie zwar wunderbar munden, jedoch
bei uns landläufig als "Weine" nicht mehr durchgehen würden.
Allenfalls der dem spanischen Taufpaten nachempfundene "Cherez" kann mit
einem nicht ganz trockenen Sherry konkurrieren. Befragt, weshalb man die
Weine angesichts der ausgezeichneten klimatischen, subtropischen Bedingungen
nicht nach westlicher Technologie durchgären lässt, verweist
Wika, unsere "Weinkönigin" von Massandra, auf den traditionell russischen
Geschmack, der sich seit den russischen Feudalherren der Krim bis heute
nicht verändert hat.
Begegnungen
Bei allem touristischen Interesse waren die Handschuhsheimer in erster
Linie in Sachen Partnerschaft vor Ort, die in vielfältiger Weise zum
Tragen kam:
Natürlich waren die oben ausgeführten Kontakte auf kirchlicher
und kirchenmusikalischer Ebene darauf ausgerichtet, auch in Zukunft die
Verbindung zu halten und an die Begegnungen auf der Krim anknüpfen
zu können, wenn sich nächstes Jahr anlässlich einer Reise
nach Heidelberg-Handschuhsheim Gäste von der Krim in Deutschland aufhalten,
wenn sich die Partnerschaft zwischen Handschuhsheim und Kiewskij Rayon
zum 10. Male jähren wird. Vielleicht gelingt es, auch einen russischen
Chor zur Mitreise bewegen zu können, mit es sich zu musizieren lohnen
wird.
Aber auf diesen Aspekt beschränkte sich die Reise bei weitem nicht.
Empfangen wurden alle in der am weitesten im Osten gelegenen Dienststelle
des Stadtteilvereins, wie der Vorsitzende Martin Hornig stolz betonte, der
schon seit Jahren durch den Einsatz von Arbeitskraft und Finanzen einem
Invalidenzentrum für die Arbeit mit behinderten Kindern auf die Beine
geholfen hat, so dass hier ein Vorzeigeobjekt entstehen konnte, wie sinnvoll
Spendengelder ohne Umwege segensreich unter benachteiligten Kindern und
ihren Familien wirken kann. Diese zeigten ein musikalisches Programm, in
dessen Spiele die deutschen Freunde einbezogen wurden, was auf den Gesichtern
der Kinder viel Freude aufblitzen ließ, die durch die mitgebrachten
Geschenke noch gesteigert werden konnte. Auch die von Pfarrer Jörg
Hirsch überreichten Spendengelder von St. Vitus und der Friedensgemeinde
wurden dankbar von den Leitern der Einrichtung in Empfang genommen, sichert
dieses Geld doch wieder ein paar Monate die Weiterarbeit mit den Kindern,
die schon bei den ganz einfachen Problemen der Verköstigung beginnt.
Auch die Schule Nr. 24, die seit dem letzten Jahr mit dem Ludwig-Frank-Gymnasium
in Mannheim rege Schulpartnerschaft und einen Schüleraustausch unterhält,
gab sich die Ehre, die Gäste aus Handschuhsheim zur Schulbesichtigung
und einem gemeinsamen Mittagessem einzuladen, hatte doch der Stadteilverein
Pate für die intensiven Kontakte auf Schulebene gestanden, wie Direktorin
Natalja Malenko zu berichten wusste. Natürlich war auch in der Aula
der Schule erst einmal Gelegenheit zu gemeinsamem Musizieren von Schülern
und der Kantorei an der Friedenskirche.
Neben vielem schon auf den Weg gebrachten Aktionen, hatte Tiefburgchef
Martin Hornig noch eine besondere Überraschung parat. Schon lange
vor der Abfahrt hatte er mit einer Handschuhsheimer Bürgerin, Frau
Christine Comtess, eine Hilfsmaßnahme von der besonderen Sorte vorbereitet.
Frau Comtess hat in ihrer Funktion als Diabetesberaterin in Deutschland
Medikamente, Messgeräte, Spritzen usw. in einem Gesamtwert von 7000
Euro requiriert, die verteilt auf 42 Koffer der Reiseteilnehmer den Flugweg
nach Simferopol fanden und im Krimer Büro des Stadtteilvereins insgesamt
40 schwer an Diabetes leidenden Personen zu einer Beratung, Unterweisung
und direkter Hilfe in ihrer Krankheit gefunden haben. Auch dieser Beratungsnachmittag
hat Spuren im Bewusstsein der Partner hinterlassen.
Dass sich die ukrainische Seite aller Angebote, Hilfen und Gesten der
Handschuhsheimer bewusst ist, bewiesen anlässlich eines großen
Empfangs im Rathaus die Ansprachen des Oberbürgermeisters von Simferopol,
Herrn Ermak, und des Bürgermeisters des Stadtteils Kiewskij Rayon,
Herrn Leonid Sawenko, der die starke Verbundenheit zwischen den Gästen
und Gastgebern betonte und keines der Fädchen vergaß, die in
fast 10 Jahren zwischen den Städten gesponnen worden sind. Herr Hornig
hob in seinen Dankesworten abschließend hervor, dass bei allen Hilfsangeboten
der Geber gleichzeitig auch immer der Beschenkte ist. Dass dies das Motto
der ganzen Reise sein könnte, können wohl alle, die dieses Mal
dabei waren bestätigen, da sie durch die vielen Eindrücke und
Begegnungen bereichert und dankbar wieder wohlbehalten in Heidelberg angekommen
sind.
(G.Genthner)
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