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Der eingemauerte Ritter
Die alte Sage erzählt von Liebe, Tod und Ehebruch Dichtung und Wahrheit: Der eingemauerte Ritter in der Handschuhsheimer Tiefburg gibt auch Experten Rätsel auf Von unserem Redaktionsmitglied Simone Jakob Die Luft ist feucht und ein bisschen muffig. Von der warmen Frühlingssonne ist im kühlen Keller der Handschuhsheimer Tiefburg nichts zu spüren. Eine enge steinerne Wendeltreppe öffnet den Zugang in eine geheimnisvolle Welt. Denn hier unten wird die uralte Legende vom eingemauerten Ritter lebendig, die einem Schauer über den Rücken jagt. "Der Staub gehört dazu", erzählt der Vorsitzende des Handschuhsheimer Stadtteilvereins, Martin Hornig. Ihm liegt der "Eingemauerte" besonders am Herzen. Hinter der Rüstung in der Nische könnte sich eine tragische Liebesgeschichte verbergen, die Hornig den Tiefburg-Besuchern vor der eisernen Figur erzählt. Die Beine des 1,50 Meter großen Ritters werden von weißen Mauersteinen verdeckt. Der gepanzerte Oberkörper mit dem eindrucksvollen Helm neigt sich ganz leicht in Richtung Wendeltreppe. "Das ist ein Maximilian-Harnisch aus dem 15. Jahrhundert", erklärt Archivar Eugen Holl, der die Geschichte vom Eingemauerten an diesem Morgen Pfaffengrunder Kindergartenkindern erzählt. Mit großen Augen hören sie zu, wie der begeisterte Historiker von der Entdeckung dieses seltsamen Fundes berichtet: Es war Johann Ferdinand Joseph Freiherr von Helmstatt, der anno 1770 Besitzer der Tiefburg war. Stolz führte er seinen Freund, den Kurpfälzischen General von Rothenhausen, durch das Herzstück des damals fünf Hektar großen Burg-Areals. Die beiden stiegen jene Wendeltreppe hinab, auf der heute Neuzeit-Besucher der Legende lauschen. Die schmalen Stufen, die zum Untergeschoss der Hauskapelle im süd-östlichen Anbau führen, bereiteten auch von Helmstatt Schwierigkeiten. Gleich rechts neben dem Eingang stieß der Freiherr, vermutlich mit einem Gegenstand, gegen die Wand und vernahm ein dumpfes, hohle Geräusch. "War da der Ritter drin?", fragt ein kleiner Bub und tritt vor Spannung ungeduldig auf der Stelle. Voller Neugier waren auch Helmstatt und sein Freund, die an der besagten Stelle das Mauerwerk aufbrechen ließen. Hier, in einer Vertiefung, einem Kamin ähnlichen Schacht, machte der Baron die grausige Entdeckung: Aufrecht stehend lehnte eine geharnischte Gestalt in der Öffnung. Durch die Erschütterung der herausbrechenden Steine fiel die Rüstung mit dem darin befindlichen Skelett in sich zusammen. "Wer der Ritter ist, wann er eingemauert wurde und warum, weiß man bis heute nicht", bremst Hornig den kindlichen Wissensdurst. Nichts würde der Handschuhsheimer Stadtteilverein lieber herausfinden. Doch an diesem Fall hätten sich schon Archäologen und sogar ein berühmter Sarkophag-Forscher die Zähne ausgebissen. "Zuerst hat man gedacht, dass er als Held gestorben ist, weil er seine Rüstung trug und die Beschädigungen aufwies, die von Schwertschlägen stammen könnten." Doch diese Theorie wurde ad acta gelegt, sobald man herausfand, dass der Eingemauerte gefesselt war. "Galt er vielleicht gar als Verräter? Doch warum hat man ihm dann seine Waffen gelassen?", stellt Hornig gleich die nächste Frage. Vielleicht, ja vielleicht steckt eine Liebesgeschichte dahinter. Um das Jahr 1830 will man auf Schloss Hirschhorn eine Parallele gefunden haben: In einer zerfallenen Mauer entdeckten Handwerker bei Ausbesserungsarbeiten die Reste einer weiblichen Fußbekleidung. Als die Männer weitere Steine herausbrachen, kam in einem engen Schacht ein weibliches Skelett zum Vorschein. Die Legend vom unglücklichen Liebespaar ist also schnell zusammengedichtet: Die Hirschhornerin und der Handschuhsheimer hatten angeblich ein Verhältnis miteinander und weil sie beide verheiratet waren, mussten sie die schlimme Strafe erleiden, eingemauert zu werden. "Ehebruch kam damals schließlich gleich nach Mord", erklärt Hornig. Wer nicht so recht an diese grausame Hinrichtungsart innerhalb einer Wohnburg und unter einer Hauskapelle glauben möchte, könnte an eine natürliche Bestattung denken. Schließlich sind schon im Altertum Menschen in hockender, sitzender oder stehender Weise bestattet worden. Auch rituelle Erklärungen kommen in Frage. In vorchristlicher Zeit wurde den Göttern beim Bau einer Wohnstätte ein Menschenopfer gebracht. Durch diesen Brauch ging man später dazu über, einen Menschen mit einzumauern, um die Götter gnädig zu stimmen, erklärt Eugen Holl den historischen Hintergrund. "Zu dem Eingemauerten gibt es nur Fragezeichen", seufzt Hornig mit Blick auf die Rüstung. Die ist freilich nicht mehr das Original aus dem 15. Jahrhundert. Johann Ferdinand Joseph Freiherr von Helmstatt schenkte den Harnisch seinem Freund General von Rothenhausen, der sie seinerseits dem Kurfürsten Carl Theodor vermachte. Später kam sie in eine Antiquitätensammlung nach Düsseldorf und wurde im Jahr 1806 den Königlichen Altertumsschätzen in München einverleibt. Später wanderte das Stück ins Deutsche Museum und gilt seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen. "Unseren Ritter hier hat ein begabter Neuzeitschmied aus dem Kraichgau gemacht", verrät Hornig. Das wollen die Handschuhsheimer aber gar nicht gerne hören, denn eine andere Sage erzählt, dass "Hendsemer" Bauern die echte Rüstung auf einem Karren voller Salatköpfe von München nach Heidelberg zurück geschmuggelt haben sollen. Den Pfaffengrunder Kindern ist das herzlich egal. Sie drängeln sich allesamt in die knapp acht Quadratmeter große Kammer unter der Hauskapelle und schauen ehrfürchtig zu dem "Eingemauerten von der Tiefburg" hinauf.
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